„Gundula Bundschuh, das bin ich“

Schauspielerin Andrea Sawatzki liest im Technikum aus „Woanders ist es auch nicht ruhiger“

Lage.
Tosender Applaus brandet auf, als Andrea Sawatzki die Eingangshalle des ausverkauften Lagenser Technikums betritt. 150 Zuschauer haben sich dort versammelt, um Auszügen aus dem Roman „Woanders ist es auch nicht ruhiger“ zu lauschen, mit dem die 59-jährige Schauspielerin und Autorin ihre Reihe über die schrullige Familie Bundschuh im vergangenen Jahr fortgesetzt hatte.
Zum Schreiben sei sie gekommen, so berichtet Sawatzki zu Beginn der Lesung, die von der Stadtbücherei Lage, ihrem Förderverein sowie der heimischen Buchhandlung Brückmann organisiert wurde, im Gespräch mit Moderator Michael Biermann, um ihr Kindheitstrauma zu verarbeiten. Ihr Vater litt an Alzheimer, ein Zustand, mit dem die kleine Andrea nur schwer umzugehen wusste. „Ich habe mich viele Jahre mit meiner damaligen Hilflosigkeit auseinandergesetzt. Mein erstes Buch war der Versuch alles in geordnete Bahnen zu führen.“ Als Resultat erschien 2013 der Psychothriller „Ein allzu braves Mädchen“ und auch in ihrem neu­es­ten Roman „Brunnenstraße“ (2022) setzt sie sich intensiv mit ihren frühen Jahren und der Krankheit ihres Vaters auseinander.
„Zunächst habe ich die Geschichte für mich geschrieben, bis ich irgendwann merkte, dass der Stoff mehr Menschen interessieren könnte“, erklärt die Schauspielerin und führt fort: „Viele von uns haben dunkle Flecken in der Kindheit und es ist enorm wichtig, sich an diesen Schmerz heranzuwagen, damit es wieder hell im Leben wird. Bei mir war es lange dunkel.“

Die „Bundschuhs“
entstehen
Deutlich fröhlicher und abgedrehter geht es hingegen bei Familie Bundschuh zu, die Sawatzki kurz vor ihrem 50. Geburtstag „zum Leben erweckte“.
Die Idee dazu sei jedoch aus einer persönlichen Kränkung entstanden, verrät die gebürtige Bayerin den Zuschauern im Technikum. „Wenn es auf die 50 zugeht, fangen die Leute um einen herum plötzlich an, hysterisch zu werden. Als Schauspielerin hört man nicht selten die Frage, ob es denn überhaupt noch weiterginge, so als würde der Rollator schon bereitstehen. Das hat mich ziemlich verärgert“, stellt Sawatzki klar.
Aus dieser Wut heraus schuf sie ein Alter Ego - eine Figur, über die sie selbst lachen kann. „So ist Gundula Bundschuh entstanden. Gundula Bundschuh, das bin ich“, gesteht die 59-Jährige. Erst im Anschluss sei die Familie drumherum ersonnen worden, um die Geschichten aufzubauschen, mit all ihren Skandalen, aber auch mit ihrer Verletzlichkeit. „Mit den Bundschuhs zusammenleben, könnte ich wiederum nicht“, betont Sawatzki schmunzelnd und erntet prompt lautes Gelächter, nicht zum letzten Mal an diesem Sonntag.
Drama auf dem Lande
Mittlerweile zählt die Familien-Komödie, die 2013 mit „Tief durchatmen, die Familie kommt“ begann, fünf Bücher und sieben Verfilmungen, in denen Sawatzki an der Seite von Axel Milberg (als Vater Gerald Bundschuh) auch selbst die Hauptrolle der Mutter Gundula Bundschuh spielt. Im Roman „Woanders ist es auch nicht ruhiger“, den Sawatzki während des ersten Lockdowns schrieb, verkauft Gerald das Haus der Familie am Rotkehlchenweg, um stattdessen mit dem gesamten Anhang, inklusive beider Großmütter und der reizenden Schwägerin Rose, auf einen Drei-Seiten-Hof mitten in der Provinz zu ziehen. Leider geschieht dies zunächst ohne das Wissen von Gundula. Und so nimmt das Drama seinen Lauf.

Sawatzki
begeistert das Publikum
Während ihrer rund einstündigen Lesung in Lage schlüpft Andrea Sawatzki fließend in jede der auftretenden Rollen und begeistert das Publikum mit ihrem schauspielerischen Talent, verschiedenen Akzenten und Tonlagen sowie ihrer natürlichen, offenen Art. „Zu Beginn habe ich mich kurz in die hiesige Küche zurückgezogen, von wo aus ich nur zuhören konnte und dachte, die anderen Schauspieler beziehungsweise Figuren seien leibhaftig anwesend“, stellt Biermann in seiner Abschlussansprache sichtlich beeindruckt fest. Und tatsächlich, würden es die eigenen Augen nicht erblicken, entstünde der Eindruck Gerald Bundschuh höchstpersönlich würde sich gerade über den (nur) aus seiner Sicht unberechtigten Strafzettel wegen Falschparkens oder das ausgesprochene Hausverbot im einzigen Supermarkt der neuen Heimat aufregen. Auch eine Sitzung bei Gundulas Therapeuten Herrn Mussorkski - im Film von Uwe Ochsenknecht dargestellt – erleben die Zuschauer hautnah mit.
Nähe zum Publikum zeigt Sawatzki indes sowohl während der 30-minütigen Pause als auch nach ihrer Lesung. Geduldig signiert sie mitgebrachte respektive vor Ort erworbene Exemplare ihrer Werke, steht stets lächelnd für gemeinsame Fotos parat und lässt es sich zudem nicht nehmen, mit ihren Lesern ins Gespräch zu kommen.
Welchen Ausgang das Umzugs-Projekt der „Bundschuhs“ letztendlich nimmt, will Andrea Sawatzki aber sowohl während der Matinee als auch im persönlichen Plausch nicht verraten. So hilft allen, die das Ende noch nicht kennen, nur der eigene Blick ins Buch.