Das Ziel bleibt die Rückkehr in die Heimat

Bürgermeister Matthias Kalkreuter über die aktuelle Flüchtlingssituation in Lage

Lage (yb).
Die Auswirkungen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine stellen auch die Stadt Lage und seine Bürger vor Herausforderungen. Der POSTILLON traf daher Bürgermeister Matthias Kalkreuter, die Fachteamleiterin Bürgerservice und Pressereferentin Ulrike Busse sowie Diego Dölle, den Fachgruppenleiter Soziales, exklusiv zu einem Gespräch über die Besonderheiten der aktuellen Flüchtlingssituation und wie die Stadt Lage mit ihr umgeht.
Herr Bürgermeister, die aktuellen Zahlen zeigen, dass die Stadt Lage bisher rund 700 Flüchtlinge aufgenommen hat, von denen circa 550 in Privathaushalten untergebracht sind. Wo befinden sich die restlichen Personen und wie viele Geflüchtete kann Lage überhaupt aufnehmen?
Matthias Kalkreuter: Wir haben bisher circa 100 Plätze in der Unterkunft in der Sporthalle am Werreanger angeboten, besetzt sind dort aktuell knapp 50. Wenn man jedoch den Kalkulationen der Landesregierung Glauben schenken darf, dass 750.000 Menschen nach NRW kommen werden, und diese Zahl umlegt, sind wir insgesamt bei ungefähr 1.500 Menschen allein in Lage.

Was die Einrichtung weiterer Notunterkünfte erfordern dürfte.
Matthias Kalkreuter: Exakt. Aus diesem Grund soll als nächstes die Unterkunft in der Sporthalle in Müssen aktiviert werden. Uns ist klar, dass es nicht der Sinn der Sache ist, die Menschen dauerhaft in Sporthallen unterzubringen. Wir haben aktuell jedoch keine anderen Kapazitäten, da sich unsere originäre größte Unterkunft zurzeit im Umbau befindet. Es war eben nicht absehbar, dass diese Fluchtbewegung in dem Maße zu uns kommt.

Für wie lange ist der Aufenthalt der Geflüchteten in den Notunterkünften geplant oder lässt sich das noch nicht abschätzen?
Matthias Kalkreuter: Momentan kann man das tatsächlich nicht abschätzen. Wohnraum in Lage ist knapp. Wir haben nicht nur Flüchtlinge zu betreuen, sondern darüber hinaus auch Menschen mit niedrigem Einkommen, die auf Hilfeleistungen angewiesen sind. Der Markt in diesem Bereich ist angespannt. Wir haben anerkannte Asylbewerber mit eigenständigem Erwerbseinkommen, die 2015 zu uns gekommen sind, und noch immer in städtischen Einrichtungen leben, da auf dem freien Markt kein Wohnraum im Kreis verfügbar ist. Durch die Fluchtbewegungen aus der Ukraine hat sich der dort ursprünglich herrschende Druck nochmal verstärkt.

Dadurch, dass viele Menschen in Lage verwandtschaftliche oder freundschaftliche Beziehungen in der Ukraine haben, ist die Flüchtlingsverteilung wahrscheinlich anders abgelaufen als im Jahr 2015 bei der sogenannten Flüchtlingswelle, oder?
Matthias Kalkreuter: Das ist richtig. Die jetzige Flüchtlingsverteilung erfolgte zunächst komplett ungesteuert. Die ers­ten Flüchtlinge kamen bereits vier Tage nach Kriegsbeginn in Lage an. Zu diesem Zeitpunkt hatte das Land noch keine Strukturen, wie etwa zentrale Unterbringungseinrichtungen.

Und 2015?
Matthias Kalkreuter: Damals wurde alles über das Land gesteuert. Die Städte bekamen eine Ankündigung wer kommt - mit Herkunftsland, Anzahl der Personen et cetera. Die Flüchtlinge aus der Ukraine kommen, wie Sie schon gesagt haben, über Netzwerke. Sie sind mobiler, kommen mit eigenen Autos, werden abgeholt oder nutzen den ÖPNV.

Da ist es sicher schwierig den Überblick zu behalten.
Matthias Kalkreuter: Ja, wir erfahren meist erst dann von ihrer Ankunft, wenn sie bereits vor der Tür stehen. So weit haben wir ein sehr heterogenes Bild in Lippe, was die Verteilung der Flüchtling angeht. Nach Augustdorf hat Lage prozentual die meisten Flüchtlinge in Lippe aufgenommen. Die dynamische und unvorhergesehene Situation behindert dabei die langfristige Planung.
Ulrike Busse: Wichtig ist es zudem zu sagen, dass Deutschland, im Vergleich zur Flüchtlingswelle von 2015, für die ukrainischen Flüchtlinge eher ein temporäres Ziel darstellt. Die bisherigen Registrierungen zeigen, dass für sie eines im Vordergrund steht – die Rückkehr in die Heimat.

Die Hilfsbereitschaft der Menschen hierzulande ist riesig. Es gibt viele, die ihre Privathäuser und -wohnungen zur Verfügung stellen, um Flüchtlinge aus der Ukraine bei sich aufzunehmen. Wie werden diese Menschen von der Stadt unterstützt?
Diemo Dölle: Die Flüchtlinge haben Zugang zu Asylbewerberleistungen. Unser Ziel war und ist es, schnellstmöglich zu erfassen, welche Personen da sind und ihre Daten aufzunehmen. Gemeinsam mit dem Kreis Lippe haben wir daher eine Registrierungsstraße entwickelt, damit die Menschen die Leistungen schnellstmöglich erhalten, wie etwa Geld in Form eines Barchecks, damit sie sich mit den grundlegenden Dingen versorgen können.
Matthias Kalkreuter: Nicht­des­totrotz stellt sich die Frage, was passiert in der Zukunft mit den Menschen, die privat untergebracht sind. Je länger der Krieg dauert, desto niedriger könnte die Hilfsbereitschaft in vielen Fällen werden - aus unterschiedlichen Gründen. In der Stadt Lage kümmern wir uns daher um weitere Einrichtungen, die diese Personen auffangen. Ansonsten ist die Hoffnung immer noch groß, dass die Kriegshandlungen zeitnah enden, sodass einerseits die Geflüchteten zurückzukehren können und andererseits niemand mehr sein Heimatland verlassen muss.

Was können die Menschen noch tun? Gibt es eine zentrale Stelle, an die sich die Bürger zum Beispiel mit Spenden wenden können?
Diemo Dölle: Wir haben zunächst eine Servicenummer als zentrale Koordinierungsstelle geschaltet, da sich zahlreiche Bürger gemeldet und Angebote gemacht haben. Da ging es vor allem um Wohnraum zur Unterbringung von Personen, aber natürlich wurde auch konkret nachgefragt, was an Sachspenden benötigt wird. Da viele Geflüchtete in Privathaushalten untergekommen und dort versorgt worden sind, haben wir aber wieder Abstand davon genommen. Zwischenzeitlich riefen wir in kleineren sozialen Gruppen zu Aktionen auf, als wir Engpässe bei der Ausstattung der größeren Unterkünfte hatten. Das lief ganz hervorragend. Teilweise über Nacht haben wir neue Unterkünfte hergerichtet und Kissen oder Bettdecken gespendet bekommen. Das hat enorm geholfen

Und was wird akut benötigt?
Diemo Dölle: Aktuell nehmen wir bevorzugt Kleidung oder auch Bettwäsche entgegen. Wir haben die Vorgänge aufgrund der vergangenen Erfahrungen angepasst und professionalisiert. Hilfreich sind dabei die Strukturen, die seit 2015 bestehen. Aber es gibt keinen grundsätzlichen Bedarf, den wir vom Rathaus aus koordinieren.
Das Gespräch führte
Yves Brummel.